Apartment East Village, NYC

Das Apartment in einem 1910 für Immigranten gebauten Mietshaus (›Tenement‹) wurde entkernt und mit neuer Zimmeraufteilung als Eigentumswohnung eingerichtet.

New York

Als ich vierzehn war, fragte mich jemand, welches meine Lieblingsstadt sei. Ich antwortete ›New York‹, obwohl ich noch nie dagewesen war. Aber das Gefühl, das ich mit New York verband war so unumstößlich und voller Sehnsucht, dass keine andere Stadt in Frage kam.

 

Kurz nach meinem sechzehnten Geburtstag war es so weit. Von Delaware aus, wo ich mit einer Freundin die Sommerferien verbrachte, um Englisch zu lernen, fuhren wir mit unseren Gasteltern für vier Tage nach New York. Ich erinnere mich an nichts, außer an die Fotos, die wir dort machten, auf der Brooklyn Bridge, dem Empire State Building, im Central Park.

 

Sobald ich mein eigenes Geld verdiente, fuhr ich einmal im Jahr nach New York. Im Hotel Seventeen in der siebzehnten Straße mietete ich zum Wochenpreis von zweihundert Dollar ein Zimmer mit Fenster zum Schacht. Der Platz zwischen Bett und Wand reichte nicht aus, um meinen riesigen Koffer ganz zu öffnen. In der ersten Nacht war ich so müde, dass ich den Zimmerschlüssel außen stecken ließ – und das, obwohl ich ansonsten jegliche Vorsichtsmaßnahmen ergriffen hatte und mein Geld in einer extraflachen Gürteltasche um die Taille trug. Das Hotel Seventeen hatte neonbeleuchtete Gänge, je nach Stockwerk grün oder rosa eingefärbt. Den Waschraum teilte ich mir mit spanischen Rucksacktouristen und den ständigen Bewohnern, Veteranen, für die, wie ich hörte, das Sozialamt die Miete zahlte. Einmal stand die Tür zu einem dieser Zimmer einen Spalt offen, und ich sah einen bis zur Decke mit Schallplatten vollgestopften Raum.

Tagsüber lief ich durch die Straßen, zügig, als hätte ich ein Ziel, wie die anderen Menschen; dabei war ich ganz hingegeben dem Kaleidoskop unterschiedlichster Gesichter, Hautfarben, Kleidungsstilen, Geräuschen und Architektur, das sich um mich herum und durch mich hindurch bewegte, ich ließ mich treiben und tragen von dem Hochgefühl, zugleich alleine und verbunden zu sein. Wenn ich nicht durch die Straßen lief, saß ich in Cafés und zeichnete was ich sah: verranzte ArtDeco Hauseingänge, aus kaputten Straßen quellenden Dampf, die anderen Gäste, die gestreiften Markisen eleganter Stadthäuser. Die giacomettiartig gekritzelte Zeichnung eines voll besetzten Lokals in Soho fand ich selber so gut, dass ich Zuversicht bekam: aus mir wird mal was. Zu dieser Zeit schenkte mir meine Mutter ein Buch zu Weihnachten: Anthony Robbins, die unerschöpfliche Macht des Unterbewusstseins. Mit den hier beschriebenen Techniken würde ich, so das Versprechen, alle meine Ziele erreichen. Ein Ziel sei dann richtig, wenn man sich kaum vorstellen könne, es zu erreichen, die Vorstellung, man würde es jedoch erreichen, einen in allerhöchstes Entzücken versetzt.

 

Ich stellte mir ein Loft in New York vor, formte die gewünschte Situation mit allen Sinnen, sah Holzboden, Sprossenfenster und Ausblick auf eine Straßenecke genau vor mir. Nur bei der Möblierung haperte es, da fiel mir nichts ein. Das Loft meiner Träume blieb leer bis auf einen Schreibtisch vorm Fenster. Das passte, denn mittlerweile wollte ich vor allem: schreiben.