302West Third, Cincinnati, Ohio
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Konzept und Design für 800 qm Gemeinschaftsräume in der ersten Etage eines historischen Bürogebäudes gegenüber dem Red Socks Stadium in Cincinnati. ›The Quad‹ umfasst Konferenzcenter, Büros, Loungebereiche, Golf Simulator, Fitness, Wellnessräume und Kunstatelier.
Konzept und Supervision des hier stattfindenden Freizeitprogramms für Mieter (Kunst, Yoga, Events, Vorträge)

Cincinnati

Der Flughafen befindet sich in Hebron. Nicht dem Hebron im Westjordanland, sondern in einer kleinen, evangelikal geprägten Gemeinde im nördlichen Kentucky. Von hier nach Cincinnati ist es nur eine Viertelstunde mit dem Auto und eine Überquerung des Grenzflusses Ohio. Ich war schon drei oder vier Mal in Cincinnati, aber nie länger als eine Nacht. Immer untergebracht in unmittelbarer Nähe meines Arbeitsplatzes, eines halb leerstehenden historischen Bürogebäudes, das nach finanziellen Schwierigkeiten vor zwei Jahren ins Portfolio meines Arbeitgebers übergegangen ist. Jetzt freue ich mich auf ganze drei Tage und Nächte in der Stadt, die, an der Grenze zum Südstaat Kentucky, während der Zeit der Sklaverei ein wichtiger Transitort war. Über den Zeitraum eines Jahrhunderts wurden zigtausende entkommener Sklaven nach Cincinnati geschleust, um von hier aus weiter in die Nordstaaten und nach Kanada zu ziehen. Aber auch in den Jahrzehnten nach Lincolns großer Befreiung gab es hier einen stetigen Zuzug von Nachfahren der Sklaven aus dem Süden.
Einer von ihnen war Peanut Jim, aufgewachsen auf einer Erdnussfarm in South Carolina, lese ich auf dem Laptop, den ich verbotenerweise noch während des Landeflugs aufgeklappt habe. Anfang der dreißiger Jahre machte er sich als junger Mann allein auf nach Cincinnati. Er kaufte sich ein Röstgerät und mietete ein winziges Ladenlokal in der Liberty Street. Mit seinem Verkaufswagen bot er bei jedem Footballspiel im Stadion singend seine Erdnüsse an, deren Duft sich mit dem seiner Zigarre mischte. Peanut Jim kleidete sich elegant, mit Zylinder und Einstecktuch. Wenn Du gut gekleidet bist, kaufen die Leute mehr Erdnüsse, war seine Überzeugung.

Als alter Mann wurde er von Hooligans böse verprügelt. Eines seiner zertrümmerten Beine musste amputiert werden, und er verpasste zum ersten Mal seit vierundvierzig Jahren ein Eröffnungsspiel. Aus dem Krankenhaus entlassen, nahm er seinen alten Beruf wieder auf. Er saß jetzt im Rollstuhl, immer noch genauso tadellos gekleidet, und versorgte bis in sein 94. Lebensjahr hinein Footballfans mit handgerösteten Erdnüssen.

Die Geschichte steht in einem der kurzen Artikel, die ich als Tabs auf dem Rechner geöffnet hatte, um mich auf Cincinnati einzustimmen. Damit ich nicht wieder eine Stadt verlasse, ohne ein Gefühl für sie bekommen zu haben. Zumal es bald vielleicht keinen Grund mehr für mich geben wird, hier her zu kommen. Nach anderthalb Jahren Planung und zig Zoomtreffen mit Architekten, Gebäudeteam und zuletzt Bauleitung, Teppichvertretern und Möbelherstellern steht das Projekt nun kurz vor der Fertigstellung. Im Westflügel der schwer vermietbaren, weil weitgehend fensterlosen Parterreetage entsteht ein moderner Gemeinschaftsbereich, für dessen Design ich verantwortlich bin. Konferenzzentrum, Fitnessräume, Golf Simulator. Von hohen Lehnen abgeschirmte Sitzgruppen für diskrete Kooperation. Ping Pong, Pool Billiard, Massageraum.
Eine Marktforschungs-Firma, die zwei ganze Etagen anmietete, hatte ›innovative Annehmlichkeiten‹ vertraglich zur Bedingung gemacht, um ihre Angestellten häufiger aus Home-Office ins Büro zu locken. Dafür sind sie bereit, pro Quadratfuß achtunddreißig Cent mehr zu Miete zahlen. Aber erst ab dem Tag der Eröffnung, weswegen die Asset Manager auf baldige Fertigstellung drängen. Morgen ist es so weit – die Möbel werden angeliefert. Deswegen bin ich hier. Am ersten Tag Möbel stellen, am zweiten Tag Bilder hängen, am dritten Tag Open House, mit Life Jazz und Lunchbuffet.

Leseprobe aus: ›Chica in Chicago‹, Roman in Arbeit