Neonlicht im Café von Einheimischen auf einer spanischen Insel. Zum Kaffee gibt es klebrige, in Plastik eingeschweißte Küchlein. Warum keine Croissants? frage ich den jungen Cafebesitzer, der ein gestreiftes Shirt trägt wie Picasso. Er sagt, es sei ein traditionelles Cafe, und er wolle alles so machen wie immer. An der Wand hängen hölzerne Ruder, ein dekoriertes Fischernetz. In meinem blauen Kleid sitze ich bei der Vitrine mit den Sardinen, mit Blick in den Raum, zu den wenigen Tischen. Schräg gegenüber sitzt ein Mann mit weißem Haarkranz und rauen eingefallenen Wangen. Bartstoppeln, Anglerweste. Konzentriert rührt er in seinem Glas Cafe con leche, liest dann weiter in der Zeitung. Ich hole meinen Zeichenblock heraus. Beginne mit dem Strich seiner Stirn. Der Rötel ist stumpf, aber es gibt keine Zeit, ihn zu spitzen, wer weiß, wie lange der Gast noch so sitzen wird, die linke Zeitungsecke mit einer Hand angehoben. Es ist ungehörig, einfach jemanden zu zeichnen, ohne zu fragen, jedenfalls grenzwertig. Aber was mich interessiert ist ja gerade die Selbstvergessenheit des anderen. Und wenn die Zeichnung gut wird, bin ich entschuldigt. Jetzt hat er die Hand mit einem Stück von dem klebrigen Gebäck angehoben, aber noch nicht in den Mund geschoben, sondern hält sie abwartend in die Luft wie eine Zigarette zwischen zwei Zügen, weil irgendeine Zeitungsmeldung seine Aufmerksamkeit bindet. So bleiben, denke ich beschwörend in seine Richtung und zeichne die gekrümmten Finger, atemlos, als sei ich auf der Jagd. Der Daumen sitzt! jubele ich innerlich beim kurzen Blick aufs Blatt, die erbeutete Linie, und führe sie weiter, während meine Augen die Handgelenkskontur erfassen. Wenn die Hand stimmt, ist das schon die halbe Miete, und auch in dem dünnen Strich unter der Nase erkenne ich sein fast unmerkliches Lächeln. Einmal guckt der alte Mann in meine Richtung, unsere Blicke treffen sich. Er merkt nicht, wie meine Hand den Stift dabei bewegt, leicht, für die kurzen Striche der Augenbrauen.
Der Cafebesitzer hat es aber gesehen, und lächelt mir ermutigend zu, wie ein Verbündeter. Hinter der Theke hervorgekommen hält er sein großes Telefon mit beiden Händen in meine Richtung, wie ein Kreuz, das vor Vampiren schützen soll. Der Gast hat sich bewegt, sitzt jetzt ein wenig verschoben. Ich mache mich an die Haltung des anderen Arms, arbeite unter Druck, gegen die Zeit. Dennoch verströmt das weiche Kratzen des Strichs auf Papier Ruhe. Der Brillenbügel, der Umriss des Ohrs. Es ist ein schönes Ohr. Vielleicht war er einmal Seemann. Sein Kaffee ist längst ausgetrunken. Jetzt legt der Gast die Zeitung zusammen und erhebt sich. Auf dem kurzen Weg zur Theke schaut er in meine Richtung, während ich nun die Zuckerdose zeichne, als hätte ich die ganze Zeit nichts anderes getan. Sie hat die Form eines Bootes. Der Cafebesitzer verabschiedet den Gast. Ich begutachte die Zeichnung, befinde, dass sich der Übergriff gelohnt hat. Schon verschmilzt die Erinnerung an den Mann mit meiner Zeichnung. Die Zuckerdose wirkt seltsam lebendig. Vor mir steht jetzt der Cafebesitzer in seinem gestreiften Shirt und sagt etwas Schnelles auf Spanisch. Ich denke, er lobt meine Zeichnung, und nicke dankend. Aber er wiederholt das gesagte, jetzt verstehe ich ›Instagram‹, und dass er über dreitausend Follower habe. Und schon acht Likes, eines davon aus Australien. Acht Likes sind nicht besonders viel, denke ich. Er hält mir sein Telefon hin. Da läuft ein Film, in seinem Cafe. Bei der Vitrine mit den Sardinen sitzt eine Frau im blauen Kleid, die aussieht wie ich. Sie zeichnet. Schaut einmal kurz aufs Blatt, dann wieder hoch. Die Kamera zoomt an meinen konzentrierten Blick heran, das kaum merkliche Lächeln. Es erinnert mich an das kaum merkliche Lächeln des Gastes.